<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> <TEI xmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance" xsi:schemaLocation="http://www.tei-c.org/ns/1.0 https://diglib.hab.de/rules/schema/tei/P5/v2.8.0/tei-p5-transcr.xsd" xmlns="http://www.tei-c.org/ns/1.0" xmlns:xi="http://www.w3.org/2001/XInclude" xml:id="edoc_ed000228_fg_introduction_1636"> <teiHeader type="text"> <fileDesc> <titleStmt> <title>Tagebuch des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg: <date when="1636-01" >Einleitung zum Jahrgang 1636</date></title> <author> <name>Christian II.</name> <nameLink>von</nameLink> <surname type="toponymic">Anhalt-Bernburg</surname> </author> <!--<respStmt> <resp>geschrieben von</resp> <persName> <forename>Arndt</forename> <surname>Schreiber</surname></persName> </respStmt>--> <respStmt> <resp>Umsetzung der Digitalen Edition von</resp> <persName> <forename>Marcus</forename> <surname>Baumgarten</surname> </persName> </respStmt> <funder>Deutsche Forschungsgemeinschaft</funder> <principal>Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.</principal> <principal>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</principal> </titleStmt> <publicationStmt> <publisher> <name type="org">Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</name> <ptr target="http://www.hab.de"/> </publisher> <date type="digitised" when="2013">2013</date> <distributor>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</distributor> <availability status="restricted"> <p>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (<ref target="http://diglib.hab.de/?link=012">copyright information</ref>)</p> </availability> </publicationStmt> <sourceDesc> <p> </p> </sourceDesc> </fileDesc> <revisionDesc> <list> <item>work in progress</item> </list> </revisionDesc> <!--<revisionDesc status="published"> <change></change> </revisionDesc>--> </teiHeader> <text> <body> <div> <p> <hi rend="bold">I.</hi> Das Jahr 1636 bedeutete für Christian II. von Anhalt-Bernburg und seine Familienangehörigen ganz zweifellos eines der dramatischsten ihres Lebens. Denn die Kampfhandlungen zwischen dem Bündnissystem des Prager Friedens und der Krone Schweden verlagerten sich wieder in die nördliche Reichshälfte, was das Fürstentum Anhalt erneut zu einem der Schauplätze des Dreißigjährigen Krieges machte. </p> <p> <hi rend="bold">II.</hi> Mitte Januar zog eine 100-köpfige schwedische Besatzung auf Schloss Bernburg ein, die den knapp acht Wochen später aufmarschierenden acht Regimentern aus kaiserlichen und kursächsischen Soldaten erwartungsgemäß keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen vermochte. Die fürstliche Residenz wurde deshalb am <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd11" >11. März</ref> im Sturm erobert, größtenteils geplündert und somit vorläufig unbewohnbar. Auf Grund dessen und aus Furcht vor weiteren Gefechten entschied sich die fürstliche Familie zur Flucht zu ihren Verwandten in Norddeutschland. Nach einem mehrtägigen Zwischenaufenthalt am Berliner Kurfürstenhof (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd27">27. 3.</ref>–<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_04_sm&xml=1636_04.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd6">6. 4.</ref>) traf Christian II. am <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_04_sm&xml=1636_04.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd13" >13. April</ref> bei seinem schwerkranken Schwager Herzog Johann Albrecht II. von Mecklenburg-Güstrow ein, dem er die drei jüngeren Schwestern Sibylla Elisabeth, Sophia Margaretha und Dorothea Bathilde anvertraute. Seine Gemahlin Eleonora Sophia und die Kinder brachte der Fürst zehn Tage darauf in Ahrensbök bei Herzog Joachim Ernst von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön für über ein Jahr in Sicherheit. Christian II. kehrte dagegen nach Anhalt zurück, mit dessen übrigen regierenden Fürsten er bei einem Dessauer Treffen vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_05_sm&xml=1636_05.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd24" >24. Mai</ref> geeignete Maßnahmen gegen die kursächsischen Kriegszumutungen beriet. Anfang Juni brach der in Geldnöten steckende Anhaltiner nach Weimar auf, um bei den ernestinischen Herzögen Wilhelm, Albrecht und Ernst die Bezahlung alter Schulden anzumahnen. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Bernburg (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_06_sm&xml=1636_06.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd23">23.</ref>–<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_06_sm&xml=1636_06.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd27">27. 6.</ref>) reiste er anschließend zum Regensburger Kurfürstentag, wo ihm Kaiser Ferdinand II. versprach, die anhaltischen Entschädigungsforderungen gegenüber Kursachsen prinzipiell zu unterstützen. Die übliche Wartezeit überbrückte Christian II. im August mit einer Trinkkur in Eger. An seinem letzten Kurtag (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd26" >26. 8.</ref>) erinnerte er sich an zwei Träume des Jahres 1632, die ihn vor jenen acht Monaten gewarnt hatten, welche ein „r“ im Namen führen. Auf mehr als 20 Tagebuchseiten geht der Fürst dieser göttlichen Botschaft nach. Seine Notizen bilanzieren dabei nicht nur die Gefahren seines bisherigen Lebens und das vielfach bestätigte Gefährdungspotential des März und November, sondern zählen auch eine ganze Reihe missgünstiger, betrügerischer und boshafter Schattenmänner mit der Initiale „R“ auf, die ihm bis dahin schädlich geworden waren oder zumindest Unannehmlichkeiten bereitet hatten. Der im Eintrag des nächsten Tages (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd27" >27. 8.</ref>) wiedergegebene detaillierte Bericht zweier Egerer Jesuiten über Einzelheiten des unrühmlichen Endes von Wallenstein (1634) veranlassten ihn ein weiteres Mal, die Kontingenz des irdischen Daseins zu beklagen und sich so gut wie möglich dagegen zu wappnen. Da die Unsicherheit der erwogenen Reiserouten die geplante Rückkehr nach Hause zunächst verhinderte, stattete er den Herzögen von Sachsen-Altenburg (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd31">31. 8.</ref>–<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_09_sm&xml=1636_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd3">3. 9.</ref>) und der verwitweten Kurfürstin Hedwig von Sachsen auf Schloss Lichtenburg in Prettin (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_09_sm&xml=1636_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd4">4.</ref>–<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_09_sm&xml=1636_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd6">6. 9.</ref>) kurze Zwischenvisiten ab. Wieder in Bernburg (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_09_sm&xml=1636_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd12" >12. 9.</ref>) erwarteten ihn neben den diversen Kriegsfolgen vor allem administrative Aufgaben und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Um wenigstens einen Teil seiner finanziellen Außenstände einzutreiben, begab sich Christian II. gegen Ende September noch einmal nach Weimar. Von dort aus setzte er etwa zwei Wochen darauf seine Reise nach Regensburg fort, dessen überteuerte Lebensmittelpreise der Anhaltiner am <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_11_sm&xml=1636_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd11" >11. November</ref> mittels einer recht umfangreichen Tabelle dokumentierte. Bald nach seiner Ankunft (<ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_11_sm&xml=1636_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd7">7. 11.</ref>) reichte er beim Kaiser gleich mehrere alte und neue Gesuche ein: 1.) wegen der beanspruchten Kompensation der von kursächsischen Truppen im Bernburger Teilfürstentum verursachten Kriegsschäden, 2.) wegen der Restitution der Grafschaft Aschersleben durch das Hochstift Halberstadt („ascanische Sache“), 3.) wegen der früheren kaiserlichen Zusage eines jährlichen Gnadengehalts und 4.) wegen der umstrittenen Vormundschaft für seinen Neffen Gustav Adolph von Mecklenburg-Güstrow, von der weiter unten noch die Rede sein wird. Zur Beförderung seiner Anliegen fuhr der Calvinist Anfang Dezember sogar nach München, wo ihn Kurfürst Maximilian I. von Bayern großzügig bewirtete. Das Jahr endete mit Christians Teilnahme an den Regensburger Krönungsfeierlichkeiten für König Ferdinand III. und dessen Gemahlin Maria Anna, die laut dem für das Diarium maßgeblichen Julianischen Kalender am <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-20_295v" >20.</ref> bzw. <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-28_315r" >28. Dezember</ref> stattfanden. </p> <p> <hi rend="bold">III.</hi> Die plastische Schilderung des Fürsten von der Erstürmung und Plünderung seines Bernburger Residenzschlosses vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd11" >11. März</ref> stellt ohne jeden Zweifel eine historisch besonders wertvolle Quelle zur Erfahrung physischer Gewalt im Dreißigjährigen Krieg dar. Während viele andere Selbstzeugnisse von Zivilisten aus jener Epoche mit ihrem Detailwissen den Eindruck authentischer Augenzeugenberichte erwecken, obwohl sie inhaltlich häufig, ja mitunter teilweise wörtlich mit zeitgenössischen Zeitungstexten übereinstimmen<note type="footnote">Vgl. Geoffrey Mortimer: Models of Writing in Eyewitness Personal Accounts of the Thirty Years War, in: Daphnis 29 (2000), S. 634–643.</note>, basiert die hier zu kommentierende Tagebuchpassage ausschließlich auf unmittelbaren Erlebnissen. Durch den Beitritt der anhaltischen Fürsten zum Prager Frieden waren die zuvor verbündeten Schweden ab dem Juni 1635 zu feindlichen Besatzern geworden.<note type="footnote">Vgl. Hermann Wäschke: Geschichte Anhalts von der Teilung bis zur Wiedervereinigung (Anhaltische Geschichte, Bd. 3), Köthen 1913, S. 82.</note> Deswegen hatte der schwedische Generalfeldmarschall Johan Banér seinem oberhalb der Bernburger Bergstadt stationierten Hauptmann Samuel Müller nicht nur mindestens dreimal schriftlich befohlen, das Schloss um jeden Preis gegen den heranrückenden Feind zu verteidigen<note type="footnote" >Tagebucheinträge vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_01_sm&xml=1636_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-01-29_46v" >29.</ref> und <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_01_sm&xml=1636_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd31" >31. Januar</ref> sowie <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-03-06_75r" >6. März</ref> mit jeweils vollständigen Abschriften der Befehle Banérs an Müller.</note>, sondern auch Christian II. und seine Familie mehrfach zur rechtzeitigen Flucht gedrängt.<note type="footnote">Tagebucheinträge vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_01_sm&xml=1636_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-01-21_40v" >21. Januar</ref>, <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_02_sm&xml=1636_02.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-02-15_62r" >15. Februar</ref> und <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd11" >11. März</ref>.</note> Der Fürst, den Müller nicht zu Unrecht als „gar zu gut Kayserisch“ verdächtigte<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_02_sm&xml=1636_02.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd6" >6. Februar</ref>.</note>, hoffte jedoch zu lange auf eine unblutige Lösung und ließ alle Gelegenheiten ungenutzt verstreichen. Als der kursächsische Generalmajor Sigmund von Wolffersdorff die Schlossbesatzung am <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd11" >11. März</ref> zur kampflosen Übergabe aufforderte, bemühte sich Christian bei beiden Parteien persönlich um die Abwendung des drohenden Angriffs. Einen Akkord konnte und wollte der auf seine Offiziersehre bedachte schwedische Kapitän freilich nicht eingehen, bevor die gegnerischen Geschütze wenigstens eine Bresche in das Gemäuer geschossen hätten. Auf den Abbruch der Verhandlungen folgte deshalb am Abend die gewaltsame Einnahme der Schlossgebäude, bei der einige fürstliche Amtsträger und Bedienstete schwer verletzt wurden. Der Fürst und seine Angehörigen, die sich zu Beginn der Kämpfe in ein Zimmer eingeschlossen hatten, gerieten ebenso wiederholt in Lebensgefahr, bis der erste Offizier erschien und „vndt mitt bloßem degen, die dragoner hinauß trieb“. Die außerhalb dieses Raumes fortgesetzten Plünderungen vermochte aber nicht einmal Wolffersdorff zu stoppen, weil dies auf riskante Weise das Beuterecht der „im sturm angefallenen hitzigen Soldaten“ geschmälert hätte. Es verwundert daher nicht, dass Christian II. über seine Angst und die damaligen Grenzen militärischer Disziplin in sein Tagebuch notierte: „Wir saßen die gantze Nachtt in sorgen, denn wenn die offizirer an einem ortt wollten ordre stellen, brachen die Soldaten, am andern ein, vndt man dorfte die offizirer nicht wol von sich laßen.“<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_03_sm&xml=1636_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-03-11_83r" >11. März</ref>.</note> </p> <p> <hi rend="bold">IV.</hi> Eine nähere Betrachtung verdient außerdem die sommerliche Kur des Fürsten im nordwestböhmischen Eger, dessen heute zu Franzensbad (Františkovy Lázně) gehörende Mineralquelle bei Schlada (Slatina) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts immerhin drei Kaiser, etliche Reichsfürsten und unzählige andere Adlige frequentierten. Vielfach wurde das berühmte Heilwasser bereits zu jener Zeit in viereckigen Krügen auch über die Grenzen Böhmens versandt.<note type="footnote">Vgl. Paul Cartellieri: Geschichtliche Notizen über den Curort Franzensbad bei Eger, in: Joseph von Löschner (Hg.), Carlsbad, Marienbad, Franzensbad und ihre Umgebung vom naturhistorischen, medicinisch-geschichtlichen und therapeutischen Standpunkte (Beiträge zur Balneologie. Aus den Curorten Böhmens, Bd. 1), Prag/Karlsbad 1863, S. 242–245.</note> Seine für die Geschichte der Medizin sicherlich hochinteressante, beinahe minutiöse Aufzeichnung der täglichen Anwendungen und ihrer körperlichen Wirkungen vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd8">8.</ref> bis <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd26">26. August</ref> rechtfertigt Christian II. gegenüber der künftigen Leserschaft des Diariums mit dem Ziel, „damitt ich mich inß künftige selber, da ich diese Sawerbrunnen cur öfters gebrauchen sollte, oder ein ander desto baß [besser] sich darnach richten könne. Denn die cur will recht gehalten vndt außgewartett sein, will man anderst durch Göttliche verleyhung, den erwüntzschten zweck, seiner gesundtheitt, erreichen, vndt vollkömblich erlangen.“<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-08-18_166r" >18. August</ref>.</note> Dafür empfiehlt er mit „Des Egerischen Schleder-Sewerlings Beschreibung“ von Matthäus Hörnigk<note type="footnote" >Matthäus Hörnigk: Des Egerischen Schleder-Sewerlings Beschreibung. Was in demselben für Mineralien sich erzeigen/ Was für Kräffte darinnen befunden worden/ und wie solcher nützlichen zu brauchen sey/ Aus Zehenjähriger selbst eigener Erfahrung verfertiget, Leipzig 1623. Martin Meyer, der Christian II. damals als Badearzt betreute, fühlte sich durch diese Aufgabe offenbar dermaßen geehrt, dass er den Fürsten zum Widmungsträger eines ähnlichen, durch ihn verfassten Buches mit dem Titel „Kurtze Beschreibung deß Egerischen Schleder-Sawerbrunnens“ machte, welches im darauf folgenden Jahr 1637 bei Wolfgang Endter in Nürnberg erschien.</note> sogar einschlägige Ratgeberliteratur zur Lektüre. Als Gründe für seine Trinkkur erwähnt der Fürst primär eine „melancholia hypocondriaca“ (durch Unterleibsverstopfungen hervorgerufene Schwermut), die ihn „mehr per accidens, wegen vielerley langwierig außgestandenen vnglücks, alß per se“ befallen habe, ferner die Vorbeugung gegen Blasensteine sowie seine „hitzige leber“ und zu „viel galle“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-08-18_166r" >18. August</ref>.</note> Jeder längere Kuraufenthalt bot natürlich ebenso reichlich Gelegenheit zur Geselligkeit und Konversation. So berichtet er beispielsweise von einigen Gesprächen mit dem kaiserlichen Kämmerer Otto Teufel und dem Franziskaner Niccolò da Tolentino, bei denen ersterer als österreichischer Protestant und letzterer als Beichtvater des apostolischen Nuntius in Wien unter anderem einmal heftig die päpstliche Bündnispolitik diskutierten.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd10" >10. August</ref>.</note> </p> <p> <hi rend="bold">V.</hi> Am Ende seiner Sauerwasserkur erfuhr Christian II. erstmals aus Anhalt, dass seine Schwester Eleonora Maria, die inzwischen verwitwete Herzogin von Mecklenburg-Güstrow, durch den lutherischen Herzog Adolph Friedrich von Mecklenburg-Schwerin „gar vbel“ behandelt werde.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_08_sm&xml=1636_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-08-26_188r" >26. August</ref>.</note> Ihr calvinistischer Gemahl Johann Albrecht II. war am 23. April gestorben und hatte zuvor seine Witwe als vormundschaftliche Regentin für den dreijährigen Erbprinzen Gustav Adolph eingesetzt. Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg, Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel und Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen sollten ihr dabei als Mitvormünder desselben Bekenntnisses zur Seite stehen. Doch Adolph Friedrich ignorierte den letzten Willen seines toten Bruders und übernahm schon vor der Testamentseröffnung vom 23. Mai die Regierung des Güstrower Landesteils. Von Eleonora Maria forderte er die Herausgabe des Kindes und die Räumung ihres Residenzschlosses. Diese wehrte sich und blieb trotz des Verbotes reformierter Gottesdienste, der restriktiven Eingriffe in ihren Hofstaat und der Vereidigung aller Amtsträger auf den Schweriner Herzog noch bis 1644 in Güstrow. Parallel hierzu warben beide Parteien bei Kaiser Ferdinand II. und verschiedenen Reichsständen um Unterstützung für ihre jeweilige Rechtsposition. Ein früher, auf Initiative des Herzogs Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg gestarteter Vermittlungsversuch durch König Christian IV. von Dänemark und Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf scheiterte rasch. Zugleich trat ab dem November Christian II. am Rande des Regensburger Kurfürstentages als Anwalt seiner jüngeren Schwester auf. Obwohl er „a cause de la Religion“ die Erfolgsaussichten seiner Fürsprache anfangs eher als gering einschätzte<note type="footnote" >Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_11_sm&xml=1636_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-11-23_252v" >23. November</ref>.</note>, gelang es ihm seit Dezember gemeinsam mit dem ehemaligen herzoglich-güstrowischen Rat Johann Milde, den Kaiser und Reichshofrat von seiner juristischen Bewertung der „mecklenburgischen Vormundschaftssache“ zu überzeugen. Trotzdem konnte der Konflikt auch im nächsten Jahr nicht beigelegt werden.<note type="footnote">Vgl. zum Verlauf des Vormundschaftsstreits die Zusammenfassung bei Klaus Conermann (Hg.): Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen. Die Zeit Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen 1617–1650, Vierter Band: 1637–1638 (Die Deutsche Akademie des 17. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Reihe I, Abteilung A), Tübingen 2006, S. 215–220.</note> </p> <p> <hi rend="bold">VI.</hi> In erster Linie diente der Kurfürstentag Christian II. von Anhalt-Bernburg allerdings als überaus wichtige Bühne symbolischer Repräsentation, die ihn als mindermächtigen Reichsstand viel Kraft kostete. Nicht allzu glaubhaft achtete er fünf Tage vor der Königskrönung gegenüber dem Reichserbmarschall Graf Maximilian von Pappenheim „zwar solche vaniteten nicht groß“, weil ihm der „himmel lieber alß die erde“ sei, doch sobald es „die würde vndt dignitet vnsers vhralten, königlichen[,] Chur: vndt Fürstlichen hauses, welches könige, Chur: vndt Fürsten in sich gehabtt“, tangiere, mochte der Anhaltiner diesem und seiner „posteritet in keinerley wege, præjudiziren“, noch sich selbst „mitt schimpf etwaß vergeben“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-17_287v" >17. Dezember</ref>.</note> Aus seinem intensiven Bemühen um dynastische Selbstbehauptung resultierten Rangstreitigkeiten nicht allein mit den Gesandten der in Regensburg fehlenden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, sondern genauso mit einigen der wenigen persönlich anwesenden Standesgenossen. Wie die meisten Reichsstände missbilligte er ganz grundsätzlich den seit Jahrzehnten zu beobachtenden politischen Machtzuwachs des Kurkollegs<note type="footnote">Vgl. den Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd18" >18. Dezember</ref>: „Puis que je voy; que les Electeurs veulent ainsy avancer leurs maysons, je m'jmmagine un Triumvirat; quj se rendra puissant par dessus toutes les autres maysons. Toutesfois la bontè de l'Empereur pourra remedier a tous ces inconvenients.“</note>, welchen die Regensburger Wahlkapitulation Ferdinands III. sogar noch verstärkte.<note type="footnote" >Vgl. Heiner Haan: Der Regensburger Kurfürstentag von 1636/37 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte, Bd. 3), Münster 1967, S. 210–219.</note> Als man den kurbrandenburgischen und kursächsischen Vertretern sowie mit Pfalzgraf Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach zwei nicht regierenden Fürstensöhnen endgültig den Vorrang über ihn einräumte, protestierte Christian II. vehement gegen diese Entscheidung des kurfürstlichen Kollegiums, da ihm fraglich schien, ob er ansonsten weiterhin „bey andern haüsern, alß Pommern, Mecklenburg[,] Braunschweig, Lünenburgk[,] hollstein, heßen, Baden, Wjrtemberg, Saxen Lawenburgk, Lottringen, Leüchtemberg &c. würde willkommen sein“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-19_294r" >19. Dezember</ref>.</note> Auf dem Krönungsbankett für König Ferdinand III. durfte der Anhaltiner dem Kaiser vorschneiden, das Wasser reichen und ein „gießbecken“ halten, während der Neuburger die prestigeträchtigere „handtsquehle“ (Serviette) präsentierte.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-20_296v" >20. Dezember</ref>.</note> Als dann ein altes Verzeichnis die Fürsten von Anhalt lediglich als „gefürstete Grafen“ einstufte, hätte er bei den Krönungsfeierlichkeiten für die Königin selbst beinahe das Mundschenkenamt an den Landgrafen Maximilian Adam von Leuchtenberg verloren, was aber ein kaiserliches Machtwort im letzten Moment verhinderte.<note type="footnote" >Tagebucheinträge vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-27_312v" >27.</ref> (Zitat) und <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-28_314v" >28. Dezember</ref>.</note> All dem ist zum Schluss noch hinzuzufügen, dass ein auf Anregung des jungen Pfalzgrafen von Neuburg durch Ferdinand II. bestelltes Fürstenballett schon wenig später abgesagt werden musste, weil sich die Beteiligten untereinander nicht auf eine Rangfolge einigen konnten. Die Schuld schoben die katholischen Fürsten Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg und Johann Anton von Eggenberg jedoch einzig und allein Christian II. zu, indem sie behaupteten, die Calvinisten tanzten nicht gern.<note type="footnote" >Tagebucheinträge vom <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-22_302r" >22.</ref>, <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1636-12-24_306r" >24.</ref> und <ref target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1636_12_sm&xml=1636_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd25" >25. Dezember</ref> (mit dem Zitat „que les Calvinistes, ne dancent pas volontiers“).</note> </p> </div> </body> </text> </TEI>