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Maximilian Görmar authorede883baa0
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<title>Tagebuch des Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg: <date when="1630-01">Einleitung zum Jahrgang 1632</date></title>
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<name>Christian II.</name>
<nameLink>von</nameLink>
<surname type="toponymic">Anhalt-Bernburg</surname>
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<resp>geschrieben von</resp>
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<forename>Arndt</forename>
<surname>Schreiber</surname>
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<resp>Umsetzung der Digitalen Edition von</resp>
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<forename>Maximilian</forename>
<surname>Görmar</surname>
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<funder>Deutsche Forschungsgemeinschaft</funder>
<principal>Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.</principal>
<principal>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</principal>
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<name type="org">Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</name>
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<date type="digitised" when="2018">2018</date>
<distributor>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel</distributor>
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<p>Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (<ref
target="https://diglib.hab.de/copyright.html">copyright information</ref>)</p>
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<item>work in progress</item>
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<p>
<hi rend="bold">I.</hi> Im Frühjahr 1632 setzten die Schweden ihren Siegeszug in Süddeutschland fort und marschierten am 7./17. Mai in
München ein. Bald darauf zogen sie sich jedoch schrittweise bis in den mitteldeutschen Raum zurück, weil ihnen der ab Mitte Dezember 1631
reaktivierte kaiserliche Oberbefehlshaber Wallenstein die Nachschubwege abzuschneiden drohte, nachdem er zuerst Böhmen von der kursächsischen
Armee befreit, dann ein befestigtes Lager bei Nürnberg errichtet und sein Heer zuletzt in das Kurfürstentum Sachsen geführt hatte. Die Schlacht
bei Lützen vom 6./16. November endete zwar mit einem schwedischen Erfolg, aber auch mit dem Tod des in zeitgenössischen protestantischen
Publikationen sehr heroisierten Königs Gustav II. Adolph.
</p>
<p>
<hi rend="bold">II.</hi> Bei jenen militärischen und politischen Ereignissen blieb Christian II. als wenig einflussreicher Reichsfürst auf
die passive Position eines aufmerksamen Beobachters beschränkt. Am <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_01_sm&xml=1632_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd21">21.
Januar</ref> wurde sein vierter Sohn Erdmann Gideon geboren. Bereits etwa fünf Wochen später brach er nach Warschau (<ref
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auf, um dort – wie im Vorjahr zu Eger abgesprochen<note type="footnote">Vgl. Tagebucheintrag vom <ref
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Juli 1631</ref>.</note> – unter Prinz Władysław gegen das Moskauer Reich in polnische Kriegsdienste zu treten. Eine zweite längere Reise
nach Hamburg (<ref
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und Ahrensbök (<ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_08_sm&xml=1632_08.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd30">30. 8.</ref>–<ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_09_sm&xml=1632_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd10">10. 9.</ref>)
vom Sommer diente vielleicht auch der Vorbereitung einer erwogenen Flucht der fürstlichen Familie in den damals friedlichen Norden Deutschlands.
Seine Gemahlin Eleonora Sophia wollte Harzgerode aufgrund ihres Kleinkindes allerdings nicht verlassen, sodass der Anhaltiner schon Ende
September wegen des unsicheren Weges, aus familiären Gründen, wegen der Sorge um die Untertanen und aus Geldmangel darauf verzichtete, sich
vor den heranrückenden kaiserlichen und schwedischen Truppen außerhalb des eigenen Territoriums in Sicherheit zu bringen.<note type="footnote">Vgl.
Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_09_sm&xml=1632_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd29">29.
September</ref>.</note> Deshalb erfuhr er schließlich im Harz von der schweren Verwundung seines jüngeren Bruders Ernst (<ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_11_sm&xml=1632_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd9">9. 11.</ref>),
der als kursächsischer Obrist an den Lützener Kampfhandlungen teilgenommen hatte und am 3. Dezember in Naumburg verstarb.<note type="footnote">Vgl.
Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_12_sm&xml=1632_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-12-05_170r">5. Dezember</ref>.</note>
</p>
<p>
<hi rend="bold">III.</hi> Während der Fürst angesichts seiner geschwundenen Jugend, der stets freudlosen Regentschaft und des gleichzeitigen
„avancem[en]t de tant d’autres Princes“ im Januar mitunter noch verzweifelte<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_01_sm&xml=1632_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-01-09_211v">9. Januar</ref>.</note>,
schienen seine bisher vergeblichen Bemühungen um eine standesgemäße Militärcharge in Polen endlich Früchte zu tragen. Jedenfalls empfing er
dort eine von Prinz Władysław, dem potentiellen Thronfolger des Königs Sigismund III., unterzeichnete „interimsbestallung“<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-23_272v">23. März</ref>.</note>,
die ihm das Kommando über je zwei Regimenter der Infanterie und Kavallerie in Aussicht stellte.<note type="footnote">Vgl. Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-22_270r">22. März</ref>.</note>
Die Bereitschaft Christians II., nicht allein dem Kaiser, sondern ebenso einem ausländischen katholischen Kriegsherrn zu dienen, mochte vielleicht
auch durch den fehlenden konfessionellen Eifer Władysławs gefördert worden sein, der laut Aussage seines Kammerjunkers Achaz von Creytzen „la messe
& les ceremonies Romaines“ verabscheute und heimlich dem Calvinismus zuneigte.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-23_271v">23. März</ref>.</note>
Neben solchen vertraulichen Informationen notierte der Anhaltiner wieder mehrere interessante Reiseeindrücke. In Warschau beschrieb er
beispielsweise eine getrennte Sitzung beider Kammern der polnischen Ständeversammlung, auf der es unter den Sejm-Abgeordneten, die über
„große gewaltt“ verfügten und „offt einen landttag zu nichte machen“ konnten, außer „viel zanckens, vndt disputirens“ sogar gezückte Säbel
gegeben haben soll.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-20_265r">20. März</ref>.</note>
Darum attestierte der Fürst den „vnverschämbten Polen“, dass sie lediglich „en quelques choses“ viel Wert auf jene standesgemäße „reputation
& grandeur“ legten, die er bei den Aufzügen, Festessen und Gebäuden des einheimischen Adels oder bei dessen Grobheiten gegenüber Fremden
am Königshof völlig vermisste, wo unter dem Vorwand der Freiheit „fast alle Bernheütter durch das Schloß“ ritten und fuhren, wann es ihnen
beliebte.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-18_261r">18. März</ref>.</note>
Besonders schlimm gerierten sich in seinen Augen die Masowier, von denen zwar kaum ein Gesetz geachtet, der Totschlag verharmlost und in den
Wirtshäusern mehr als auf dem Schlachtfeld gekämpft würde, doch „alle Schlachtitz oder edelleütte sein“ wollten, sobald sie „nur einen Sebel
vndt [ein] pferdt“ besäßen.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_03_sm&xml=1632_03.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-03-09_253r">9. März</ref>.</note>
</p>
<p>
Allerdings stieß der Plan einer fürstlichen Offizierskarriere im fernen Osteuropa nicht nur zu Hause auf große Bedenken. Herzog Georg Rudolph
von Schlesien-Liegnitz-Wohlau hatte seinem Vetter Christian II. bereits auf dessen Rückreise am <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_04_sm&xml=1632_04.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd9">9.
April</ref> in Parchwitz vor den Risiken eines solchen Unterfangens gewarnt. Denn nach seiner Meinung war der berüchtigten „Polonica fides“
schwer zu trauen, das Teilfürstentum Anhalt-Bernburg bei den aktuellen Problemen unbedingt persönlich zu regieren und das Moskauer Reich ein
wichtiger schwedischer Verbündeter. In Bernburg erinnerte dann der Hofrat Georg Friedrich Schwartzenberger seinen Landesfürsten an die viel
zu hohen Werbungskosten und „nostre alliance“ mit dem Schwedenkönig, die jede Kooperation mit dessen Feinden ausdrücklich verbot.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_04_sm&xml=1632_04.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-04-18_293r">18. April</ref>.</note> Ganz ähnlich argumentierte der Regierungspräsident Heinrich von Börstel und berichtete, dass Gustav II. Adolph in
einem Gespräch mit dem Pfalzgrafen August von Pfalz-Sulzbach tatsächlich schon gedroht habe, „wo ich würde vor Polen werben, so wollte der König
das Fürstenthumb Anhalt, eben so kahl machen, wie er Bayern gemacht hette“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_07_sm&xml=1632_07.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-07-14_53r">14. Juli</ref>.</note> Selbst die bloße Präsenz bei einem ihrer Kriegsgegner genügte damals manchen schwedischen Offizieren, um dem
Anhaltiner indirekt anzukündigen, dass sein Landesteil „viel ein mehreres vndt schweereres leyden“ müsse als die übrigen vier anhaltischen
Territorien.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_07_sm&xml=1632_07.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd12">12. Juli</ref>.</note> Wohl nicht zuletzt deswegen forderte die Herzogin Eleonora von Schleswig-Holstein-Sonderburg von ihrem Bernburger
Schwager bei seinem Besuch in Ahrensbök eine endgültige Entscheidung für die Schweden, statt weiterhin „ni froid ni chaud“ und „dans un grand
labyrinthe“ eingesperrt zu sein.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_09_sm&xml=1632_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-09-02_75v">2. September</ref>.</note>
</p>
<p>
<hi rend="bold">IV.</hi> Zu einer konsequenten Parteinahme für Gustav II. Adolph ließ sich der Fürst freilich nie nötigen. „Rien ne nous succede
auprès de ce Roy là comme j’ay creu au commencement“, resümierte er im Sommer, nachdem entgegen aller anfänglichen Hoffnung auf die lange angestrebte
Restitution der 1322 an das Hochstift Halberstadt verlorenen Grafschaft Aschersleben „beym König in Schweden, nichts außzurichten“ war.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_07_sm&xml=1632_07.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-07-28_61v">28. Juli</ref>.</note>
Als überdies Gerüchte kursierten, dass man in den schwedisch kontrollierten Reichsgebieten bei der Taufe „den exorcismum allenthalben wieder
einführen, keine andere, als die lutrische religion verstatten“ und nur noch auf das Konkordienbuch vereidigte Lutheraner in Ämter einsetzen
wolle<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_09_sm&xml=1632_09.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd20">20. September</ref>.
Zur Bedeutung von Konkordienbuch und Taufexorzismus siehe den Einführungstext <ref target="http://www.tagebuch-christian-ii-anhalt.de/index.php?article_id=30">"Reformation
und Konfessionalisierung im Fürstentum Anhalt"</ref>.</note>, dürfte das seine kritische Haltung eher verstärkt haben. Angesichts der Anfang
Oktober in Mitteldeutschland aufmarschierenden Heere plädierten Christian II. und seine Räte auf einer Wulfener Beratung mit den Fürsten August,
Ludwig, Johann Kasimir und Georg Aribert denn auch dafür, die feindlichen Kaiserlichen durch entgegengeschickte Boten um „verschonung“ zu bitten,
weil das „verderben“ des Hauses Anhalt und seiner Untertanen weder den Schweden „noch dem Evangel[ischen] wesen“ irgendetwas nutze. Außerdem
„müste vns der König schüzen können, sonst wehre der Bundt nichts“, der ja „nur auf eine zejtt“ geschlossen worden sei. Andere Anwesende
verurteilten dieses Ansinnen als eine „res malj exemplj et primj inter Evangelicos“, die das Abkommen mit Gustav II. Adolph von 1631 breche.
Vielmehr sollten alle fünf anhaltischen Regenten „guht vndt bluht“ riskieren sowie größtenteils aus dem Fürstentum ziehen, damit sie der
Feind nicht zur Verletzung ihrer Bündnisverpflichtungen zwinge. Am Ende wurde als Kompromiss vereinbart, allein Fürst Ludwig, der als
schwedischer Statthalter im Erzstift Magdeburg und Hochstift Halberstadt fungierte, zum Wegzug zu raten und zu den Kaiserlichen „ohne die
höchste nohtwendigkejtt“ und gemeinsamen Beschluss keinen Kontakt aufzunehmen.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_10_sm&xml=1632_10.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd5">5. Oktober</ref>.</note>
Die Schweden verdächtigten Christian II. gewiss nicht erst in diesem Moment der mangelnden Vertragstreue. Ein namentlich unbekannter
schwedischer Kriegskommissar unterstellte ihm sogar, beim Anrücken der feindlichen Armee des Feldmarschalls Graf Gottfried Heinrich von
Pappenheim „vor freẅden einen sprung gethan“ zu haben, was der Beschuldigte möglicherweise nur deshalb bestritt, da er sich „Gott lob,
gravitetischer“ zu gebärden wisse „als kjnder oder Narren“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_10_sm&xml=1632_10.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-10-29_131v">29. Oktober</ref>.</note>
Vier Tage vor der Lützener Schlacht glaubte schließlich auch Präsident Börstel, „wir köndten mitt ehren vndt guten gewißen, dem spiel nicht
länger zusehen“, denn ihm schien „die sache“ eindeutig „zu einem Religionskrieg gedyen“. Darum wäre es den „hiebevorn wegen ihrer Gottesfurcht,
weißheitt vndt Standthaftigkeitt“ berühmten Fürsten zu Anhalt „sehr verkleinerlich“, wenn sie sich als die ersten für neutral erklärten und vom
„gemeinen Evangel[ischen] wesen“ abfielen. Christian II. äußerte jedoch Zweifel, „si c’est une guerre de religion“, und betonte nochmals, dem
Kriegsbündnis mit dem Schwedenkönig habe man nicht „a nostre preiudice“ zugestimmt, „ains p[ou]r conserver nostre pays, & non pas p[ou]r
nous rendre tous valets & esclaves du Roy de Swede“. Und weil dieser den vertraglich zugesicherten Schutz im Notfall nicht leiste, „nous
sommes libres de l’alliance“.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_11_sm&xml=1632_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd2">2. November</ref>.</note>
</p>
<p>
<hi rend="bold">V.</hi> Trotz aller persönlichen Distanz betrauerte selbst Christian II. den Tod von Gustav II. Adolph bei Lützen immerhin einen
ganzen Tag, sah dabei aber seine alte Überzeugung bestätigt, „qu’il ne faut trop se fier aux hommes, nj en faire des Idoles“ – ein Verhalten,
das er an vielen Zeitgenossen tadelte.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_11_sm&xml=1632_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd13">13. November</ref>.</note>
Denn nach seiner Mutmaßung hatte sich der Schwedenkönig zu sehr auf sein Glück verlassen und es gleichsam mit Gewalt vorantreiben wollen.
Gleichwohl solle dieser die letzte Zeit in seiner Behandlung von Reichsfürsten „glimpflicher“ geworden sein. Noch mehr bewegte und beruhigte
den Anhaltiner indes eine erfreuliche Nachricht, dass der Verstorbene die polnische Offiziersbestallung gar nicht derart scharf kritisiert
habe, „wie es ezliche zur verbitterung, außlegen“ mochten.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_11_sm&xml=1632_11.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-11-12_154v">12. November</ref>.</note>
</p>
<p>
<hi rend="bold">VI.</hi> Mit dem Leben des nordeuropäischen Monarchen endete zumindest für den Bernburger Regenten zugleich der Pakt mit dem
Königreich Schweden. Gegenüber dem anhaltischen Gesamtrat Kaspar Pfau hielt er „die getroffene Schwedische alliantz Vor ein personalwerck“,
das nunmehr „durch des Königs hochloblichster gedächtnüs ableiben“ seiner rechtlichen Grundlage beraubt sei. Zudem habe man ihn, wie Christian II.
abermals unterstrich, einst unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen und der Verschweigung der wahren Umstände zur Unterzeichnung jenes
Vertrages „mitt den haaren herbey gezogen“. Den bevollmächtigten Stockholmer Reichskanzler Axel Oxenstierna betrachtete der Fürst „gegen den
König“ lediglich als „eine privat Person“, deren tatsächliche Befugnisse niemand genau kenne. Deswegen hätte man im Fall seines unerwartet
befohlenen Rückzugs nach Schweden „Wenig trost noch schutz Von ihme zuerhoffen“. Überdies würde es dem reichsfürstlichen Haus Anhalt „schimpflich
sein“, die Bewahrung seiner Freiheit Ausländern solch niederer Herkunft anzuvertrauen. Statt „als die Schwächesten Vndt gleichsamb geringsten
den vortantz zu haben“ und sich „dardurch Wol gar aus dem religions frieden zusetzen“, müsse man den Rat „der gesambten Euangelischen Vndt
reformirten religionsVerwanten“ einholen. Bei diesen dachte der Anhaltiner keineswegs nur an die benachbarten Kurfürsten von Sachsen und
Brandenburg sowie an andere protestantische Reichsstände, sondern auch an England, Dänemark, die niederländischen Generalstaaten, die
Schweizer Eidgenossenschaft und die Hansestädte. Und nicht zuletzt favorisierte er trotz „gebuhrendem eiffer“ für die eigene Konfession eine
friedliche Lösung des Konflikts, da Gott „sein wort nicht allezeit mitt dem schwert Verfochten haben“ wolle. Auf dem nächsten Treffen der
regierenden anhaltischen Fürsten in Köthen beschloss die Mehrheit jedoch, diese Einwände zu ignorieren und ihre „Alliantz mitt Schweden […]
in allewege zu continuiren“, so lange der Krieg dauere. Denn diese bestand aus ihrer Sicht mit der schwedischen Krone und „nicht mitt der
person des Königs allejne“. Dessen unbeschadet könnten sie die zwei Kurfürsten in Dresden und Berlin am Ende ja ebenso konsultieren.<note type="footnote">Tagebucheintrag
vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_12_sm&xml=1632_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd21">21. Dezember</ref>.</note>
Nach dieser für ihn unbefriedigenden Entscheidung suchte Christian II. nach neuen Gegenargumenten und fand sie vier Tage darauf bei der
Lektüre einer ihm erstmals zugesandten Abschrift des Hallenser Bündnisvertrages. Unter anderem hob er hervor, dass dessen Text „in allen
artickeln“ nur den König, nie aber die Krone von Schweden erwähne. Darüber hinaus werde darin stets Gustav II. Adolph als Schutzherr
bezeichnet, welche Rolle unmöglich seiner Witwe Maria Eleonora und unmündigen Tochter Christina oder einem „ViceRè“ wie Oxenstierna
zukäme. Und auch von einem „perpetuum“, das „nach des Königs todt“ für die Zeit des Krieges eine Erneuerung des Bundes gebiete, war nach
seiner Kenntnis an keiner Stelle die Rede.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_12_sm&xml=1632_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-12-25_194v">25. Dezember</ref>.</note>
Am <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_12_sm&xml=1632_12.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd29">29. Dezember</ref>
fasste der Fürst alle seine „bedencken, wegen nicht vndterschreibung der alliantz“ nochmals in elf Punkten zusammen, um mit deren Hilfe die
übrigen Regenten des Landes endlich von der Richtigkeit seiner Position zu überzeugen.
</p>
<p>
<hi rend="bold">VII.</hi> Neben zusätzlichen Kontributionsforderungen bildeten eigenmächtige Einquartierungen in den Ortschaften des Fürstentums
Anhalt einen wiederholten Anlass zum Dissens mit dem schwedischen Verbündeten. Dass Christian II. durchaus gewillt war, derlei Zumutungen zur Not
auch mit Gewalt entgegenzutreten, zeigen die Ereignisse in Reinstedt vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_10_sm&xml=1632_10.xml&xsl=tei-transcript.xsl#hd20">20. Oktober</ref>.
Weil die Einwohner des im Harzvorland gelegenen Dorfes lange ohne jeglichen Erfolg über das Verhalten von ungefähr 50 einquartierten Soldaten
„bitterlich geweheklagt“ hatten, entschied er sich entgegen der Warnung, „man würde mir diese action vor vbel, vndt als eine thätligkeitt, zum
præjuditz des Evangel[ischen] wesens, deütten“, mit 36 Musketieren und 14 Reitern „die extrema zu tentiren, vndt mitt einer furia (vngeachtet
aller gefahr) darwieder zu gehen“, falls alle „linderen“ Gegenmaßnahmen nichts fruchteten. Auf diese reagierte der kommandierende schwedische
Leutnant von Reinstedt allerdings weiterhin mit dem Hinweis auf seinen in Quedlinburg stationierten Rittmeister, ohne dessen Befehl er seine
Quartiere nicht räumen dürfe. Zur Tarnung seines Vorhabens täuschte der Fürst in der näheren Umgebung eine Jagd vor, von welcher er den
unkooperativen Offizier in das Nachbardorf Radisleben zitierte. Aber als ihm „das glück“ gerade in diesem Augenblick einen Hasen bescherte,
der von den fürstlichen Hunden nach Reinstedt gehetzt und darin vor den Augen der Schweden „pro bono omine“ gefangen wurde, ergriff der
Anhaltiner die Gelegenheit, um mit seinem Begleittrupp in den Ort zu marschieren und an der Dorfstraße „zu mehrerem schregken“ eine Formation
aus zwei parallelen Reihen aufzustellen. Die aufgebaute Drohkulisse verfehlte bei dem Leutnant nicht ihre beabsichtigte Wirkung und rang ihm
nach einem kurzen Wortwechsel das Versprechen ab, „mir zu vndterthenigen ehren“ noch am selben Abend abzurücken. Als sich dessen Aufbruch
trotzdem verzögerte, fiel Christian II. von zwei Seiten mit seinen Bewaffneten zu Fuß und zu Pferd erneut in Reinstedt ein und nötigte die
schwedischen Soldaten zum sofortigen Abzug. Zwar kehrten einige von ihnen bald danach noch einmal zurück, um eine Schafherde zu stehlen,
wurden von der alarmierten fürstlichen Truppe jedoch schnell wieder aus dem Dorf getrieben. Alle diese Vorgänge sind im Tagebuch auf eine
dermaßen detaillierte Weise geschildert, dass sie der Forschung einen ziemlich intensiven Einblick in lokale Alltagssituationen des
Dreißigjährigen Krieges gewähren.
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<hi rend="bold">VIII.</hi> Beachtung verdient zum Schluss nicht minder eine interessante Bewertung der für diese unsichere Epoche oft
nachweisbaren Prophezeiungen durch den neuen Bernburger Hofprediger Andreas Winß. Nach dessen Urteil waren „die propheten anderst nicht,
als ab eventu [zu] prüfen“. So hätten etwa der Schuster Jakob Böhme und der Weißgerber Christoph Kotter auf Grund ihrer falschen Weissagungen
„den rechten prophetengeist nicht gehabt“ und damit dem Teufel geholfen, der „die wahren Christglaübigen nur irre machen“ und in trügerischer
Sicherheit wiegen wolle, um sie dann viel „leichter durch stärckere Macht bezwingen“ zu können. Den seit einigen Jahren von ihm beobachteten
Rückgang „von ferrneren Prophezeyungen“ interpretierte er deswegen als ein gutes Vorzeichen dafür, dass Gott nun seiner Kirche mit dem (damals
noch lebenden) König von Schweden als Werkzeug beistehen würde. Ob der Fürst diese Ansicht teilte, ist in seinen Diarien leider nicht
überliefert. Stattdessen berichtet er ohne jeden Kommentar von einem Müller aus Sangerhausen, der als „ejn ejnfältiger Mann“ zwei Wochen vor
der Schlacht von Breitenfeld (1631) die Niederlage des Grafen Johann T’Sercles von Tilly „verkündiget“ und unlängst – d. h. am 20. Oktober 1632 –
prophezeit habe, dass nach elf Tagen genauso „der Wallsteiner biß aufs haüpt, vndt viel ärger, als der Tilly, vor Leiptzigk geschlagen werden“
würde, was sich mit dem schwedischen Sieg bei Lützen letztlich bewahrheitete.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_10_sm&xml=1632_10.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-10-22_121v">22. Oktober</ref>.</note>
Dagegen war bei offenkundigem Aberglauben für den Anhaltiner die Grenze zum Unsinn klar überschritten. Zwar besichtigte auch er vermutlich zum
Zeitvertreib „etzliche galläpfel“. Aber aus in diesen entdeckten Spinnen, Fliegen oder Maden ernsthaft auf Pest, Krieg bzw. Teuerung zu
„judjciren“, ging ihm als „wahn“ ausdrücklich zu weit.<note type="footnote">Tagebucheintrag vom <ref
target="http://diglib.hab.de/content.php?dir=edoc/ed000228&distype=optional&metsID=edoc_ed000228_fg_1632_01_sm&xml=1632_01.xml&xsl=tei-transcript.xsl#1632-01-31_232r">31. Januar</ref>.</note>
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