>Publikationsorte der 103 Ethnografien</ref> findet sich im DARIAH-DE GeoBrowser.</note> neun in
französischer Sprache, alle weiteren in englischer. Im Rahmen der darauffolgenden
Datenerhebung wurden die Erstausgaben der Texte begutachtet, um die jeweils
zeitgenössische Darstellung in der Originalsprache erfassen zu können. Erhoben wurden
in einer Tabelle Werte für die Paratexte: </p>
<listtype="unordered">
<item>Titel</item>
<item>Untertitel</item>
<item>Verlagsort</item>
<item>Erscheinungsjahr</item>
<item>Widmung</item>
<item>Motto</item>
<item>Danksagung</item>
<item>Vorwort</item>
<item>Einführung</item>
<item>Zwischentitel</item>
<item>Anmerkungen</item>
<item>Nachwort</item>
<item>Anhänge</item>
<item>Bibliografie</item>
<item>Inhaltsverzeichnis</item>
<item>Index</item>
<item>Glossar</item>
<item>Illustrationen</item>
<item>verlegerische Epitexte </item>
</list>
<p>sowie die textinternen Merkmale</p>
<listtype="unordered">
<item>Erzählposition</item>
<item>Homo- bzw. Heterodiegese</item>
<item>hervorgehobene Zitate </item>
</list>
<p>Die Paratexte Vorworte wurden in allografe (von fremder Hand) und auktoriale
differenziert, Anmerkungen in Fuß- und Endnoten unterschieden, Illustrationen nach
Farb- und Schwarzweißbildern sowie Portraits von Autor*innen, Karten, Schaubilder,
Tabellen und Zeichnungen getrennt, verlegerische Epitexte in Einführungen ins Werk,
Autor*innenkurzbiografien, Listen weiterer Werke der Autor*innen und <hi
rend="italic">Blurbs</hi> differenziert. Da sich die Forschungsfragen auf das Spannungsfeld
zwischen wissenschaftlicher Objektivität
und reflektierter Subjektivität in der Textsorte Ethnografie richteten, erschien es sinnvoll,
auch die in den Texten verwendeten Erzählpositionen zu erfassen, d.h. aufzuzeichnen, ob
beispielsweise ein unpersönlich-auktorialer Erzähler oder ein autobiografischer Ich-Erzähler
verwendet wurde. Strenggenommen stellen diese Erzählperspektiven zwar keinen Paratext dar,
sondern eine Eigenschaft des Haupttextes; es stand aber zu überprüfen, inwiefern diese
Erzählpositionen mit dem Einsatz von Paratexten korrelieren, etwa durch den Verzicht auf
einen umfangreichen Anmerkungsapparat in einem stark autobiografischen Text.
Die Erzählpositionen wurden nach ihrem ontologischen Status differenziert. Bei den
Zitaten, ebenfalls einem textinternen Signal, wurden lediglich im Text hervorgehobene
Zitate sowie ihre Häufigkeit erfasst.
In einem optionalen Feld wurden Besonderheiten der Textgestalt wie etwa die
Wiedergabe direkter Rede oder von Dialogen verzeichnet. </p>
<p>Den zweiten Arbeitsschritt nach der Erfassung der Daten bildete ihre Umwandlung in
Zahlenwerte, die die Grundlage der quantifizierenden Auswertung bilden. Insbesondere
dieser Arbeitsschritt zeigt die Schwierigkeiten, Schwächen und Fallstricke auf, denen
sich eine quantifizierende Analyse von Paratexten zu stellen hat. Bei einer ganzen
Reihe von Paratexten (Widmung, Motto, Danksagung, allografe und auktoriale Vorworte, Einführung, Zwischentitel, Inhaltsverzeichnis, Nachwort, die Klappentexte
Einführung ins Werk, Autor*innenkurzbiographie, <hirend="italic">Blurbs</hi>, Listen
weiterer Titel des*der Autors*in sowie Fotografie der Autor*innen) wurde lediglich ihr
Vorhandensein oder Nichtvorhandensein registriert, denn hier erschien eine
Quantifizierung – d. h. die Ermittlung ihres Umfangs im Verhältnis zum Gesamttext –
nicht sinnvoll. Um ein Beispiel zu nennen: Selbstverständlich lässt sich der Umfang
einer Danksagung ermitteln und ihr proportionaler Anteil am Gesamttext errechnen; es
stellt sich aber die Frage, welche Aussage auf dieser Grundlage getroffen werden kann
und welchen Stellenwert diese Aussage bei der Interpretation der Ergebnisse haben
könnte. Um Darstellungskonventionen zu ermitteln, genügt jedoch zunächst einmal die
Aufzeichnung ihres Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins. Alternativ soll hier eine
weitere Möglichkeit vorgeschlagen werden, der indes in der vorliegenden Studie nicht
nachgegangen wurde: Die Danksagungen kartieren das persönliche Netzwerk der
Autor*innen und bilden damit eine hervorragende Grundlage für
wissenschaftssoziologische Studien sowie die Vernetzung der Autor*innen
untereinander. Vergleichbar verhält es sich mit den Vorworten. Sie sind im Kontext
der vorliegenden Studie vor allem dann interessant, wenn sie nicht von den
Autor*innnen selbst stammen: Ein allografes Vorwort wird häufig von einer Autorität
im Wissenschaftsfeld verfasst und dient der Konsekration der meist noch nicht mit
hohem Sozialkapital ausgestatteten Autor*innen, oder es stammt von der Herausgeber*in
der Reihe, in der die Monografie publiziert wurde. Da das relative Gewicht in der
Unterscheidung zwischen einem Vorwort, das von einer Wissenschaftsautorität verfasst
wurde, und einem Vorwort, das von Reihenherausgeber*innen in häufig standardisierter
Form geschrieben wurde, nicht adäquat quantifiziert werden kann,<notetype="footnote"
> Das würde voraussetzen, dass sich das symbolische und soziale Kapital eines
Autors nicht nur überhaupt bestimmen lassen müsste, sondern es würde auch eine
Formel notwendig machen, nach der diese Kapitalsorten in ihrer Verteilung über die
verschiedenen sozialen Felder hinweg kumulativ berechnet werden könnten.</note>
und da sich unter den 103 erfassten Titeln nur 17 allografe Vorworte fanden und für
die Interpretation leicht auf die Rohdaten zurückgegangen werden konnte, wurde auf
die Zuweisung einer Gewichtung zu den Vorworten verzichtet. </p>
<p>Bei anderen Daten erschien die Quantifizierung jedoch sinnvoll: Die Umfänge von
Appendizes, der Bibliografie, des Index, des Glossars oder der unterschiedlichen
Illustrationen (Anzahl von Bildern, Karten, Schaubildern, Tabellen, Zeichnungen)
sowie ihr proportionaler Anteil am Gesamttext lassen sich leicht ermitteln (Anzahl
Seiten des Paratexts pro Gesamtzahl an Seiten bzw. Anzahl von Illustrationen) und
diese Werte stützen als Aussage die Interpretation. So annonciert z. B. eine sehr
umfangreiche Bibliografie, dass es sich bei der Monografie um eine Metastudie
handelt. Nicht einfach zu ermitteln hingegen sind die Umfänge von Anmerkungen. Hier
stellte sich die Vielfalt der Präsentationsoptionen einer einfachen Quantifizierung
entgegen: In den erfassten Werken wurden Endnoten meist in einem eigenen Abschnitt am
Ende des Buches zusammengefasst; damit ließe sich ihre Seitenzahl bzw. ihr relativer
Anteil am Haupttext einfach bestimmen. Bei Fußnoten hingegen läge der sinnvollste
quantifizierende Zugang in der Ermittlung ihrer Zeichenzahl, die ins Verhältnis zur
Zeichenzahl des Haupttextes gesetzt werden könnte. Dieser Zugang stellt sich jedoch
einer pragmatischen und effizienten Herangehensweise entgegen: Der Großteil der
untersuchten Ethnografien wurden im 20. Jahrhundert publiziert und liegt
ausschließlich in gedruckter Form vor, so dass die Zeichenzahl der Fußnoten nicht
schnell zu ermitteln ist. Noch komplexer verhält es sich, wenn in einem Text sowohl
Fuß- als auch Endnoten verwendet werden. Auch hier läge es nahe, ihren Anteil am
Haupttext über die Zeichenzahl zu bestimmen, was wiederum erfordern würde, auch die
Zeichenzahl der Endnoten zu ermitteln und nicht die Textfläche, die sie belegen.
Solcherlei quantifizierende Bestimmungen werden einfacher möglich sein, wenn alle
Texte digital vorliegen und daher die Zeichenzahl schnell erfasst werden kann; für
die vorliegende Studie hingegen wurde pragmatisch die Anzahl von Fuß- oder Endnoten
pro Seite bestimmt. Dieses Verfahren ist einfach durchzuführen, indem die absoluten
Zahlen der Fuß- bzw. Endnoten ermittelt werden und mit der Anzahl der Seiten des
Haupttextes relationiert werden. Für die Auswertung wurde daher ein Quotient (Anzahl
Fuß- bzw. Endnote pro Seite) errechnet und der sich daraus ergebende Prozentwert
verwendet. Diese Normalisierung wurde nicht nur für die Anmerkungen vorgenommen,
sondern überall da, wo quantitative Werte erhoben wurden,
z.B. beim Umfang der Anhänge, der Anzahl von Bildern, Schaubildern, Tabellen usf.</p>
<p>Vergleichbare Schwierigkeiten ergaben sich auch bei den textinternen Signalen. Hier
zeigte sich einerseits, dass die in der Literaturtheorie von Genette etablierten
Relationen von Autor*in, Erzähler und Person sowie die Unterscheidung von
homodiegetischer und heterodiegetischer Ebene zwar hilfreich sind, andererseits sind
sie in der Praxis aber nicht einfach operationalisierbar, denn häufig werden in den
hier untersuchten Texten nicht nur eine, sondern mehrere Erzählpositionen verwendet.
In der Einleitung wird etwa oft ein autobiografischer Ich-Erzähler verwendet, während
in anderen Textteilen (z. B. einzelnen Kapiteln) heterodiegetisch erzählt wird, z. B.
auktorial. Auch hier stellt sich die Frage, ob und wie der relative Anteil einer
Erzählposition im Verhältnis zum Gesamttext ermittelt werden kann, eine
Problemstellung, zu der es in der Literaturtheorie bislang keine Antworten gibt. </p>
<p>Daher wurde auch hier pragmatisch verfahren, indem die im Untersuchungskorpus
verwendeten Erzählpositionen typisiert und die ontologisch strengsten Positionen dem
Gesamttext zugewiesen wurden. Insgesamt kommen im untersuchten Textkorpus vier
unterschiedliche Typen von Erzählern zum Einsatz: In zwei Texten fanden sich fiktive
vier weitere Texte arbeiteten mit einem auktorialen Erzähler, der nicht mit einem
Personalpronomen im Text verortet werden kann. Der größte Teil der Texte (67 Werke)
operiert mit einem autobiografischen Ich-Erzähler, d. h. das Personalpronomen wird
von Tätigkeitsverben (»ich sagte«, »ich ging«, »ich fragte«) begleitet; der Erzähler
wird so in Interaktion mit seiner Umwelt gezeigt. Dies trifft zwar häufig nur für
einen Teil der Textfläche zu, dennoch kann man mit recht argumentieren, dass diese
homodiegetische Erzählinstanz auch als diejenige angesehen kann, die für den
Gesamttext bestimmend ist. Die zweitgrößte Gruppe von Texten (30 Werke) setzt eine
Erzählposition ein, die hier summarisch als <termtype="dh">pluralis auctoris</term> bezeichnet wird. Es wird entweder ein »Wir« oder ein »Ich« benutzt, um den Erzähler
zu identifizieren und er leitet die Leser durch den Text, bleibt im Gegensatz zum
homodiegetischen autobiografischen Ich-Erzähler dabei aber nur heterodiegetisch an
der Textoberfläche, d. h. er ist nicht Teil der erzählten Welt (»Wie wir eben gesehen
haben«, »ich folgere daraus«, »ich möchte nun in meiner Argumentation voranschreiten«
usf.). Diese letztere Erzählposition weist eine hohe Variabilität auf: Sie kann die
Ergebnisse der Untersuchung mit den Leser*innen vergemeinschaften (»wir sehen nun,
dass«) oder den*die Leser*in direkt ansprechen (»ich hoffe, es ist klar geworden«). Wie
aus den untersuchten Texten deutlich wurde, bietet diese Erzählposition den
Autor*innen eine hohe Flexibilität und einen großen Gestaltungsspielraum. So weitet
etwa Bronislaw Malinowski diese Erzählsituation auf ein erlebendes »Wir« aus; wie in
einer Kamerafahrt führt er die Leser*innen an den Schauplatz des Dargestellten: <quote>We
pass several villages</quote>, <quote>As we stand on the wide central space</quote>, <quote>let us imagine that we
are taking a bird’s-eye view of a native village, and are trying to form a compound
moving picture of the life of the community</quote>.<notetype="footnote"><reftype="bibliography"target="#malinowski_argonauts_1932">Malinowski 1932</ref>,
S. 9, 10, 48f.</note> Ruth Benedict hingegen dehnt den <hirend="italic">pluralis auctoris</hi> hin zu einer nationalen Gemeinschaft: <quote>Would our army have to
prepare to fight, when we were winning, Our country was not devastated</quote>.<note
type="footnote"><reftype="bibliography"target="#benedict_chrysanthemum_1946">Benedict / Vogel 1946</ref>, S. 3, 22, 313.</note> Für die Auswertung
wurde dann jeweils nur noch einer der vier verwendeten Typen von Erzählern notiert –
oder <hirend="italic">pluralis auctoris</hi>. Mit anderen Worten: Wo also ein
autobiografischer Ich-Erzähler in einer Gemengelage mit einem <hirend="italic">pluralis auctoris</hi> oder aber mit einem auktorialen Erzähler verwendet wird,
wurde dem Text die Erzählposition ›autobiografischer Ich-Erzähler‹ zugewiesen, weist
sie doch streng auf die Identität von Autor*in und Erzähler hin. Hier zeigt sich
einmal mehr die Notwendigkeit, Erkenntnisse der Literaturtheorie in der Praxis
anzuwenden und zu überprüfen, gegebenenfalls zu modifizieren und zu differenzieren
und schließlich einer Operationalisierung wie im vorliegenden Fall zugänglich zu
machen.</p>
<p>Schließlich die hervorgehobenen Zitate. Dass sie überhaupt erfasst wurden, geht auf
den gedachten Leser der Einführung zurück: Ein Leser, der ein Buch in die Hand nimmt,
identifiziert im Sinne seines Alltagswissens ein wissenschaftliches Buch vor allem
anhand der ihm ins Auge springenden hervorgehobenen Zitate, an den Fuß- und Endnoten
sowie den Anhängen. Daher wurden alle Zitate – obwohl sie als textinterne Signale und
nicht als Paratexte gelten – erfasst, wenn sie etwa durch Kursivierung, Einrückung,
einen kleineren Schriftsatz und engeren Zeilenabstand vom Haupttext abgehoben wurden.
Ebenso wie bei den Anmerkungen lassen sich hier Überlegungen anstellen, wie diese
Zitate quantifiziert werden sollen: Nach Anzahl der Zeichen, nach belegter Textfläche
oder nach Häufigkeit in Relation zum Haupttext. Wie auch bei den Anmerkungen wurde
die Entscheidung hier pragmatisch vorgenommen: Quantifiziert wurden diese Zitate,
indem ihre absolute Zahl erfasst und ins Verhältnis zum Haupttext gesetzt wurde.
Dabei wurden drei Intensitäten unterschieden: </p>
<listtype="unordered">
<item>Hohe Intensität (hervorgehobenes Zitat jede bis jede zweite Seite)</item>
<item>Mittlere Intensität (Zitat jede dritte bis vierte Seite)</item>
<item>Geringe Intensität (Zitate auf jeder fünften Seite oder weniger). </item>
</list>
</div>
<divtype="chapter">
<head>4. Das wissenschaftliche Selbst im Wandel: Eine sehr kurze Geschichte
ethnologischer Objektivität</head>
<p>In der nachfolgenden Interpretation der erhobenen Daten wird nicht nur den Leitfragen
nach Darstellungskonventionen, der formativen Wirkung von Gattungsprogrammen und den
Rahmenbedingungen für Objektivität und Subjektivität nachgegangen, wie sie oben am
Beginn des Abschnitts zur Methodologie formuliert wurden. Bereits während der
Erfassung der 103 Ethnografien tauchten darüber hinaus spezifischere Fragen auf: </p>
<listtype="unordered">
<item>Können unterschiedliche Gruppen von Texten anhand der verwendeten Paratexte
voneinander abgegrenzt werden? </item>
<item>Welche Schlüsse können auf der Grundlage des untersuchten Korpus von
Ethnografien auf die Entwicklung ethnografischen Schreibens im Zeitverlauf
getroffen werden? </item>
<item>Welche Aussagen sind im Hinblick auf Plausibilisierungsstrategien und die
Abweichung von Konventionen möglich? </item>
</list>
<p>Für die Auswertung und Interpretation der erfassten Daten wurden jene Werte
verwendet, deren Umwandlung in numerische Zahlen oben im methodologischen Teil
beschrieben wurde. Diese Daten liegen in Tabellenform vor<notetype="footnote">
Sämtliche Daten wurden unter <reftarget="http://dx.doi.org/10.20375/0000-000D-FF87-C">http://dx.doi.org/10.20375/0000-000D-FF87-C</ref> publiziert, vgl.
<p>Im oberen Teil der Grafik finden sich jene Werke, bei denen die objektivierenden
Paratexte (insbesondere Zitate und Anmerkungen, aber auch Bibliografien, Glossare und
Indizes) am umfangreichsten sind; sie treten durch die weißen Flächen deutlich
hervor. Im unteren Teil der Grafik werden jene Texte erkennbar, die über nur wenige
Paratexte verfügen und deren Quantität gering ist. Um die Lesbarkeit der Grafik zu
erhöhen, wurden die Erzählpositionen hinzugefügt und durch einen weißen Rahmen
voneinander abgegrenzt; es sind dies von oben nach unten <hirend="italic">pluralis auctoris</hi>, auktorialer Erzähler, autobiografischer Ich-Erzähler und fiktiver
Ich-Erzähler. </p>
<p>In der Grafik lassen sich drei Gruppen von Texten unterscheiden:</p>
<listtype="ordered">
<item>Oben in der Grafik finden sich jene Texte, die durch die Verwendung eines <hirend="italic">pluralis auctoris</hi>
oder eines auktorialen Erzählers sowie durch die Proliferation von objektivierenden Paratexten
(insbesondere Zitate und Anmerkungen, aber auch Bibliografien,
Glossare und Indizes) leicht als wissenschaftliche Monografien erkennbar sind.</item>
<item>Unten in der Tabelle findet sich eine Gruppe von
Texten, die auf Paratexte weitgehend verzichten: Hier sind die beiden Werke zu
finden, in denen der fiktive Ich-Erzähler zum Einsatz kommt und damit eine romanhafte
Darstellung gewählt wird, sowie eine ganze Reihe von Texten, in denen ein
autobiografischer Ich-Erzähler verwendet und zugleich weitgehend auf den
<p>Hier wird zunächst einmal deutlich, dass die als <hirend="italic">pluralis auctoris</hi> zusammengefasste Erzählposition im Zeitverlauf stark an relativem
Gewicht verliert, während der autobiografische Ich-Erzähler an relativem Gewicht
zunimmt – gemessen an der Gesamtzahl der publizierten Titel pro Dekade.
In den 1960er Jahren verwenden 55 % aller Texte einen <hirend="italic">pluralis auctoris</hi>,
in den 1970ern sind es 33 %, in den 1990ern 26 %. Im Gegensatz dazu findet sich
in den 1960er Jahren in 45 % aller Texte ein autobiografischer Ich-Erzähler,
in den 1970ern in 66 %, in den 1990ern in 65 %. Bei aller Vorsicht, die bei globalen Aussagen
vor dem Hintergrund von nur 103 erfassten Texten geboten ist, wird daraus
der Wandel der Darstellung des wissenschaftlichen Subjekts und damit der Wandel des
Objektivitätsverständnisses in der Ethnologie greifbar: Während nämlich ein
auktorialer Erzähler oder eine Erzählposition, die nur an der Textoberfläche agiert,
qua Erzählsituation die Darstellung individueller Wahrnehmungen und die Präsentation
der Interaktion zwischen Forscher und Erforschten minimiert, eröffnet erst ein
autobiografischer Ich-Erzähler diese Optionen. Potenziell eröffnet sich mit einer
solchen Erzählposition die Möglichkeit, eigene Emotionen und Empfindungen zu
thematisieren und von der Präsentation eines passiven Beobachter*innensubjekts zur
Darstellung einer aktiven, interagierenden Forscherpersönlichkeit zu wechseln, welche
die wissenschaftliche Urteilsfindung als Ergebnis eines interaktiven Prozesses
referiert. Stellt man diese Konjunktur des autobiografischen Ich-Erzählers in den
Kontext der ethnologischen <termtype="dh">Writing Culture</term>-Debatte,<note
type="footnote"> Diesen Titel trägt der entscheidende Sammelband zu dieser
Debatte; vgl. <reftype="bibliography"target="#clifford_culture_1986">Clifford 1986</ref>.</note> in der die Forderung erhoben wurde, dass
sowohl die Stimmen der beforschten Subjekte als auch die der Forscher*innen zum
Ausdruck kommen sollen, dann wird der Übergang zu einer ›dialogischen‹ oder
›polyphonen‹ Ethnografie insbesondere seit den 1980er Jahren nachvollziehbar. </p>
<p>Ein wissenschaftlicher Autor, der sich in seinem Text in Interaktion mit seiner
Umgebung zeigt – und insbesondere in Interaktion mit seinem Untersuchungsobjekt, den
Menschen und ihrem Verhalten, das er analysiert –, bedarf ganz offensichtlich aber
auch einer Absicherung durch eine Instanz, die ›von außen‹ kommt und ihn als Erzähler
legitimiert. Dies ist die Funktion der Kurzbiografien und <termtype="dh"
>Blurbs</term>, die die Verlage einfügen, und die die Autor*innen als
Anthropolog*innen bzw. Ethnolog*innen ausweisen sowie die wissenschaftliche
Institution nennen, in deren Kontext die Studie entstanden ist. So gesehen wird
nachvollziehbar, warum der relative Anteil von Kurzbiografien und <termtype="dh"
>Blurbs</term> im Klappentext oder im Haupttext selbst im Zeitverlauf zunimmt. Die
Verlage übernehmen damit eine zentrale Funktion in der Plausibilisierung des
Dargestellten und für die Abgrenzung gegenüber der Autobiografie. </p>
<p>Diese These wird erhärtet durch eine Beobachtung, die am Untersuchungsmaterial
gemacht werden konnte, die sich aber einer einfachen Quantifizierung entzieht. Bei
der Erfassung der hervorgehobenen Zitate und ihrer Nachweise trat nämlich hervor,
dass zwar häufig Informant*innen wörtlich zitiert wurden und deren Aussagen nicht
selten auch in direkter Rede oder sogar in Dialogform wiedergegeben wurden. <hi
rend="italic">En détail</hi> belegt werden diese Zitationen aber zumeist nicht,
und häufig fehlt in den Ethnografien auch ein pauschaler Hinweis auf die »field
notes«, die während der Studie vor Ort niedergeschrieben wurden, oder der Hinweis auf
Tonbandaufnahmen oder gar Videointerviews.<notetype="footnote"> Ausnahmen bilden
hier beispielsweise <reftype="bibliography"target="#kulick_travesti_1998">Kulick 1998</ref>, passim;
<reftype="bibliography"target="#hecht_home_1998">Hecht 1998</ref>, passim, die beide auf
Tonbandaufnahmen und angefertigte Transkriptionen verweisen.</note> Selbst wo auf
diese Rohdaten verwiesen wird, haben der*die Leser*in oder Wissenschaftler*in keinen
Zugriff auf sie. Es wurde nämlich kein einziger Nachweis ausfindig gemacht, in dem
formuliert wurde, dass die »field« notes in einer Bibliothek oder einem Archiv
deponiert wurden, um möglicherweise nachfolgenden Generationen von Forscher*innen als
Vergleichsmaterial oder Studienobjekt dienen zu können.</p>
<p>Textpragmatisch gesprochen haben die Leser*innen solcher Studien gar keine andere
Wahl, als dem*der Autor*in zu vertrauen, dass diese ihre Informant*innen wahrhaftig und
aufrichtig zitieren und dass die durch die Autor*innen im Feld gemachten
Beobachtungen glaubwürdig sind. Daher lässt sich hier von einer Analogie zu dem von
Philippe Lejeune formulierten <termtype="dh">autobiografischen Pakt</term>
sprechen.<notetype="footnote"><reftype="bibliography"target="#lejeune_pacte_1975">Lejeune 1975</ref>, passim.</note> Lejeune macht in
seinem einschlägigen Werk deutlich, dass bei aller Wahrscheinlichkeit der Referenz
und aller Sicherheit der Authentizität des*der Autors*in die Faktualität des Genres
Autobiografie nur aus einer <hirend="italic">Behauptung</hi> des Textes abgeleitet
werden kann, nämlich dass Autor*in, Erzähler und Protagonist*in identisch und die
geschilderten Ereignisse wahr seien. Der autobiografische Pakt beruht auf der
Bereitschaft der Leser*innen, dieser Behauptung Glauben zu schenken und somit dem
Text einen faktualen Status zuzuschreiben. Analog lässt sich hier daher von einem
<termtype="dh">ethnografischen Pakt</term> sprechen, den Autor*innen und
Leser*innen einer Ethnografie schließen – mit dem entscheidenden Unterschied, dass es
eben die Verlage sind, die über ihr symbolisches Kapital als Wissenschaftsverlage und
über die Objektivierung des*der Autor*in als Wissenschaftler*innen in einer biografischen
Kurznotiz Glaubwürdigkeit stiften und diese in <termtype="dh">Blurbs</term>
bekräftigen, die von externen Autoritäten wie Wissenschaftler*innen oder
Journalist*innen verfasst wurden. Es folgt also einer Binnenlogik wissenschaftlichen
Publizierens, wenn Ethnografien, die in Richtung Autobiografie tendieren, durch die
Beglaubigung der Wahrhaftigkeit des Dargestellten vermittels textexterner Instanzen
abgesichert werden. Und so wird auch nachvollziehbar, dass die Funktion der
Glaubwürdigkeitserzeugung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den
Autor*innen allografer Vorworte hin zu den Wissenschaftsverlagen wechselt, die über
Autor*innenbiografien, <termtype="dh">Blurbs</term> und Angaben im Impressum
(»nonfiction«) eine Abgrenzung gegenüber Autobiografien und Fiktionen leisten.</p>
<p>Dass die Entwicklung in Richtung ›autobiografischen‹ Schreibens eine Abkehr von den
tradierten Darstellungskonventionen bedeutete, zeigt eine genauere Betrachtung
einiger weniger ausgewählter Werke aus dem untersuchten Korpus. Als Laura Bohannan
1954 ihr Buch <bibl>
<titletype="desc">Return to Laughter</title>
</bibl> publizierte, wählte sie für die Veröffentlichung das Pseudonym »Eleonore
Smith Bowen«. In einer vorangestellten und mit dem Pseudonym signierten »Note« führt
sie die Leser*innen über den Status des Textes ein: <quote>All the characters in this book,
except myself, are fictitious in the fullest meaning of that word. [...] When I write
as a social anthropologist and within the canons of that discipline, I write under
another name</quote>. Diese Aussage befremdet, lässt sie doch den ontologischen Status des
Buches im Unklaren – ein Pseudonym stellt bereits eine Fiktionalisierung dar, mithin
muss auch die Erzählerin fiktiv sein und wurde daher auch als »fiktive
Ich-Erzählerin« kategorisiert. Dennoch verdeutlicht die »Note«, worauf es Bohannan
ankommt: <quote>Here I have written simply as a human being, and the truth I have tried to
tell concerns the seachange in one’s self that comes from immersion in another and
alien world</quote>.<notetype="footnote"> Alle Zitate <reftype="bibliography"target="#bohannan_laughter_1954">Bohannan (Smith Bowen) 1954</ref>, S. V. Die
zweite Ausgabe dieses Werks trägt den Untertitel <bibl>An anthropological novel</bibl>,
erschienen Garden City, N.Y.: Doubleday 1964, <reftype="bibliography"target="#bohannan_laughter_1964">Bohannan (Smith Bowen) 1964</ref>.</note> Es geht also um die
Mitteilung einer Wahrheit, die jenseits wissenschaftlicher Wahrheit liegt, mithin
einer Wahrheit der Fiktion. Offensichtlich wählte Bohannan die Form einer fiktiven
Autobiografie, um den zeitgenössischen Konventionen der Ethnografie zu entkommen;
anscheinend sah sie damals keine andere darstellerische Möglichkeit, um der
»Wahrheit«, um die es ihr geht, zum Ausdruck zu verhelfen.</p>
<p>Colin Turnbull hingegen schien 1961 für die Publikation des Buches <bibl>
<titletype="desc">The Forest People</title>
</bibl> keinen Anlass für eine Rechtfertigung seiner Darstellungsweise zu sehen. An
diesem Werk tritt zunächst der Verzicht auf fast den gesamten Wissenschaftsapparat
hervor. Das Buch enthält zwar eine Widmung und eine Danksagung, aber lediglich vier
Fußnoten auf 279 Seiten Haupttext. Ein Glossar von fünf Seiten, 3 Karten und 12
Schwarzweißfotos sind vorhanden, Anhänge, Bibliografie, Inhaltsverzeichnis, und Index
fehlen völlig. Ein autobiografischer Ich-Erzähler – textextern abgesichert durch eine
biografische Notiz zum Autor auf den letzten Seiten des Buches – berichtet über seine
Erlebnisse mit den Pygmäen in Ruanda und Burundi, wobei seine Informant*innen
häufiger in direkter Rede wiedergegeben werden.<notetype="footnote">
<biblxml:id="genette_paratexte_1989">Gérard Genette: Paratexte. Frankfurt/Main u. a. 1989. <ptrtype="gbv"cRef="026790688"/></bibl>
<biblxml:id="genette_fiktion_1992">Gérard Genette: Fiktion und Diktion. München 1992. <ptrtype="gbv"cRef="119232979"/></bibl>
<biblxml:id="grafton_urspeuenge_1995">Anthony Grafton: Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote. Berlin 1995. <ptrtype="gbv"cRef="187322651"/></bibl>
<biblxml:id="kilchoer_eden_2018">Fabienne Kilchör / Jörg Lehmann / Katja Liebal / Oliver Lubrich: Diesseits von
Eden. Paratexte und Bilder in der Primatographie. In: Scientia Poetica 22 (2018), H.
1, S. 151–179. <ptrtype="gbv"cRef="22568697X"/></bibl>
<biblxml:id="korda_life_1999">Michael Korda: Another life: a memoir of other people. New York, NY 1999.
<ptrtype="gbv"cRef="1621812529"/></bibl>
<biblxml:id="krauter_titelhelden_2018">Benjamin Krautter / Janis Pagel / Nils Reiter / Marcus Willand: Titelhelden und
Protagonisten – Interpretierbare Figurenklassifikation in deutschsprachigen Dramen.
In: Pamphlet / LitLab 7 (2018), S. 1–56. PDF. [<ref